Joe Navarro, Jahrgang 1953, kam mit acht Jahren aus Kuba in die USA. Da er kein Wort Englisch sprach, entdeckte er schon früh in seiner Jugend den Nutzen der nonverbalen Kommunikation. In den USA studierte er Justizverwaltung und internationale Beziehungen ehe er eine 25-jährige Karriere beim FBI startete. Dort arbeitete Navarro als Agent in der Abteilung für Spionageabwehr und entlarvte dabei Kriminelle und Spione, indem er ihre Körpersprache beobachtete und so ihre wahren Gedanken und Gefühle bloßlegte. Nach seiner FBI-Laufbahn begann er mit Lehrtätigkeiten und Vorträgen zum Thema nonverbaler Kommunikation. Er gehört dem Lehrkörper der St. Leo University in Florida an und ist darüberhinaus erfolgreicher Autor verschiedener Bücher im Bereich Körpersprache.
Seine Menschen-Lesen-Strategie:
Joe Navarro musste in seiner Zeit beim FBI die Psyche von Menschen anhand ihrer Körpersprache entschlüsseln. Er tat dabei im Grunde nichts anderes, als fremde Menschen zu lesen. In all seinen Jahren als FBI-Agent hat er diese Fähigkeit nahezu perfektioniert und so eine Strategie entwickelt, mit deren Hilfe er nur auf Grundlage von physischen Signalen die Gedanken und Gefühle seines Gegenübers entlarvte. So erklärt Joe Navarro worauf man dabei achten muss:
Ausgangsverhalten
Als ich beim FBI Verdächtige verhörte, achtete ich vor allem darauf, sie weder einzuschüchtern noch in die Defensive zu drängen. Im Gegenteil: Ich wollte, dass sie sich wohlfühlten; ich sorgte dafür, dass Getränke bereitstanden und eine entspannte Atmosphäre herrschte. Und während sich die Personen nach und nach in die Situation einfanden, beobachtete ich jede ihrer Bewegungen – angefangen bei der Sitzhaltung bis hin zu ihrer Blinzelfrequenz. Warum? Um zu wissen, wie ein Mensch Unbehagen zum Ausdruck bringt, muss man zunächst einmal herausfinden, wie er sich verhält, wenn es ihm gut geht. Wenn man erst einmal weiß, wie sich eine Person im Normalfall verhält, das heißt, wenn sie sich behaglich fühlt, fallen Abweichungen von diesem Ausgangsverhalten als Zeichen des Unbehagens auf. Es wird zum Beispiel oft angenommen, dass verschränkte Arme Ablehnung oder eine abwehrende Haltung zum Ausdruck bringen. Das trifft aber nicht auf Personen zu, die diese Pose üblicherweise einnehmen. Ein guter Freund von mir verschränkt seine Arme beispielsweise gerne, wenn er im Gespräch gedankenversunken seinem Gegenüber lauscht. Erst wenn er seine Haltung abrupt verändert, kommt in mir der Verdacht auf, dass er sich möglicherweise unwohl fühlt.
Kontext
Jede Form nonverbalen Verhaltens muss stets in dem jeweiligen größeren Zusammenhang betrachtet werden. Wenn jemand eine schwer kranke Tochter zu Hause hat oder sich Sorgen um den Erhalt seines Arbeitsplatzes macht, muss damit gerechnet werden, dass die betreffende Person Anzeichen von Stress äußert. Die Sorge darüber, dass sie möglicherweise ihr Kind oder ihre Anstellung verliert, schafft einen kontextuellen Rahmen und erklärt Verhaltensweisen der Angst oder des Unbehagens. Es gilt jedoch auch in weniger extremen Situationen, den Kontext zu berücksichtigen: Beobachten Sie nur einmal die angespannten Gesichter von Menschen am Flughafen – Flugreisen sind überaus anstrengend, es drohen ständig unvorhersehbare Flugstreichungen und unfreundliche Flugbegleiter. Von einem Polizeibeamten angehalten zu werden, kann ebenfalls Stress auslösen; allein die Tatsache, dass der Beamte eine Uniform und eine Marke trägt, kann bereits für innere Anspannung sorgen, deshalb müssen wir die menschlichen Befindlichkeiten als zum Kontext gehörig betrachten. Im Kreis unserer Lieben fühlen wir uns wohl; unter Fremden dagegen eher nicht. Man kann diese Dynamik auch am Arbeitsplatz feststellen: Man fühlt sich in Anwesenheit seiner Kollegen und im Idealfall auch seines Vorgesetzten wohl; sie gehören sozusagen zur »Familie«. Aber wenn der Vorstand einen Besuch abstattet, verhält sich jeder angesichts der hochrangigen Unbekannten reserviert, möglicherweise sogar nervös.
Emphase
Emphase ist ein nonverbaler Akzent: So setzen wir körperlich ein Ausrufezeichen. Wenn wir wütend sind und wiederholt auf jemanden deuten oder unsere Arme triumphierend nach einem verwandelten Elfmeter in die Höhe recken, setzen wir durch diese emphatischen nonverbalen Gesten ein deutliches Signal. Emphase reichert unsere Botschaften mit Gefühlen an, wodurch sie nachhaltiger in Erinnerung bleiben. Im Berufsleben dient Emphase dazu, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Wenn wir es unterlassen, Dinge hervorzuheben, verwandeln sich unsere Äußerungen in bloßes Geschwätz. Wenn wir nicht in der Lage sind, einen gehörten Sachverhalt wiederzugeben, liegt das oft daran, dass die Information ohne Emphase vorgetragen wurde. Botschaften, die an ein Gefühl gekoppelt sind, bleiben tendenziell länger im Gedächtnis. Nonverbales Verhalten ist aus eben diesem Grund ein so wertvolles Hilfsmittel im zwischenmenschlichen Umgang. Emphase kann einen Funken in uns zünden; genau dies machen sich Trainer zunutze, wenn sie vor einem Spiel ihre Mannschaft mit einer Motivationsrede anfeuern – sie wollen auf diese Weise das Team zu Höchstleistungen anspornen.
Entgegen der Schwerkraft
»Es geht aufwärts« ist ein Ausdruck für eine optimistische Grundhaltung, die im nonverbalen Verhalten eine genaue Entsprechung hat. Wenn man sich gut fühlt, strebt die Körpersprache nach oben und widersetzt sich somit der Schwerkraft. Man sieht aufgestellte Augenbrauen, ein selbstbewusst nach vorne geschobenes Kinn, Daumen, selbst Zehen zeigen gen Himmel. Ich sehe diese Verhaltensweisen oft während meiner Vortragspausen, wenn die Kursteilnehmer ihre SMS-Benachrichtigungen abrufen: Erhalten sie positive Nachrichten, zeigt der Fuß nach oben. In der Vorstandsetage sind verschränkte Hände mit aufgestellten Daumen ebenfalls ein Ausdruck für positive Gedanken.
Hinweise auf eine Absicht
Oft lässt der Körper die Absichten einer betreffenden Person erkennen, noch bevor diese ihre Wünsche in Worte fasst. Diese Hinweise sind verlässliche Indikatoren und sollten möglichst immer beachtet werden. Wenn Sie ein Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten führen und er seinen Rumpf leicht von Ihnen wegdreht oder wenn Sie bemerken, dass sein Standbein in Richtung des Ausgangs zeigt, sendet er die Botschaft, dass er die Diskussion nun gerne zu einem Ende brächte – höchstwahrscheinlich, ohne dass es ihm bewusst ist. Nehmen Sie es nicht persönlich; Ihr Vorgesetzter gibt damit nur zu verstehen, dass er dringend gehen muss. Was auch immer ihre Gründe dafür sind: Wenn Menschen ein solches Verhalten zeigen, haben sie es eilig und möchten sich entfernen. Sie werden Ihnen dankbar sein, wenn Sie sich unauffällig zurückziehen.
Mikrogesten
Mikrogesten oder Mikroexpressionen (Begriffe, die von dem renommierten Forscher Dr. Paul Ekman geprägt wurden) sind flüchtige körpersprachliche Signale, die sehr aufschlussreich sein können. Weil ihr Tempo und Auftreten sich der bewussten Steuerung entziehen, gelten sie in der Regel als authentisch und aufrichtig. Sie stehen oft mit negativen Gefühlen oder Unbehagen in Verbindung und gewähren uns einen tiefen Einblick in die Gefühlswelt unseres Gegenübers. Es gibt viele Mikrogesten, aber eine, die uns im Berufsleben sehr oft begegnet, ist das schnelle Blinzeln oder Zusammenziehen der unteren Augenlider. So subtil diese Bewegung auch sein mag – sie ist ein zuverlässiger Indikator für Unbehagen. Ich habe diese entlarvende Mikrogeste oft bei Anwälten gesehen, die gerade einen Vertrag durchgingen, und zwar genau in dem Augenblick, in dem sie auf einen problematischen Passus stießen.
Territorialverhalten
Mithilfe des Territorial- oder Revierverhaltens bringen wir unsere räumlichen Bedürfnisse zum Ausdruck und vermitteln, wie wir uns sozial und sogar emotional betrachten. Jede Kultur billigt ranghöheren Individuen mehr Freiraum, mehr (Grund-)Besitz und ein größeres Territorium zu. Als Christoph Kolumbus Königin Isabella aufsuchte, um finanzielle Unterstützung für seine Reise nach Amerika zu erbitten, war es ihm nicht gestattet, näher als einige Meter an den Thron der Königin heranzutreten. Als die Konquistadoren dort ankamen, wo heute Mexiko liegt, fanden sie vergleichbare territoriale Verhältnisse vor: Auch in der Neuen Welt hielt man gebührenden Abstand zum Herrscher. Und auch in unserer heutigen Welt existiert praktisch überall mehr oder minder auffälliges Revierverhalten, von der königlichen Box in Wimbledon über die Anzahl der Fahrzeuge in der Wagenkolonne des Präsidenten bis hin zum Fahrgast, der mit ausgestreckten Armen und Beinen in der U-Bahn zwei Sitzplätze in Anspruch nimmt. Im Berufsleben kann sich Territorialverhalten in einem hellen, geräumigen Eckbüro äußern, einem großen Schreibtisch oder einem Arm, der auf der Rückenlehne des benachbarten Stuhls ruht. Je höher unser (tatsächlicher oder behaupteter) Status ist, umso mehr Raum benötigen (oder beanspruchen) wir.